Rattenfänger reloaded

„Ich frage dich nicht noch einmal, Glimmdingchen.“, drohte er der kleinen Fee im Käfig. „Wie hat er das geschafft? Wie war das möglich?“
„Ich heiße Glimmerchen, du Arsch.“ erwiderte das fingergroße Wesen im Vogelkäfig und flatterte wütend mit ihren Libellenflügeln. Hendrik nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und hauchte der Fee eine große Wolke entgegen.
„Du bist wohl ganz ein Harter.“ hustete sie los, während er sich mit einem sadistischen Grinsen wieder in den abgewetzten Ledersessel fallen ließ. Eine Weile beobachtete er die zierliche Gestalt. Als ihr Husten allmählich abflaute, legte er seine Beine überkreuzt auf dem Tisch direkt neben dem Käfig ab.
„Mach es dir doch nicht unnötig schwer.“ begann er etwas versöhnlicher und kramte unterdessen in seiner Hosentasche. Er wurde fündig und warf er den Gegenstand vor den Käfig.
„Fütterst du mich jetzt mit Erdnüssen wie ein Tier im Zoo?“
„Warum siehst du dir nicht zuerst mal deine Erdnuss an?“ versuchte er die Fee nun mit dem guten Cop zu besänftigen und aus der Reserve zu locken. Das kleine Wesen hatte trotzig ihre Arme vor der Brust verschränkt und funkelte ihn zornig unter ihrem schräg geschnittenen Pony an. Doch als sie schließlich ihren Blick senkte sah er, dass seine Bemühungen Früchte getragen hatten.
„Wie kann das sein?“ flüsterte sie ehrfürchtig und ließ sich von ihren Flügeln an den Käfigrand tragen. Ihre zierlichen Finger wickelten die glänzende Verpackung aus und enthüllten ein Bonbon aus satt glitzernder Melasse. „Wo ist das her?“
„Das war in der Kamelle bei den Karnevalumzügen untergemischt.“ antwortete er nüchtern und rückte wieder näher zu der Fee auf.
„Gibt es davon etwa noch mehr?“
„Viel zu viel.“
„Warum sollte jemand Feenstaub in die Masse unterrühren? Als ob der Zucker nicht schon schlimm genug wäre mischen die Irren nun auch noch dieses Teufelszeug mit hinein.“
„Siehst du jetzt kommst du ins Spiel, Glührimmchen.“
Sie funkelte ihn noch einmal böse an, stieg aber nicht mehr weiter darauf ein. „Wie zuvor schon gesagt, woher soll ich das alles wissen?“
„Du bist eine Fee.“ gab er achselzuckend die Antwort. „Was glaubst du denn weshalb ich dich gefangen habe?“
„Ich bin keine Auenfee, du Idiot!“ zischte sie ihn an und schlug gleichzeitig so aufbrausend mit ihren Flügen, dass sie etwas abhob.
„Was weiß denn ich, wie viele Verschiedene es von euch gibt.“
„Ich bin eine Dornenfee, wie man es ja wohl deutlich an den Flügeln sehen kann.“ deute sie mit verengten Augenbrauen auf das Flügelpaar an ihrem Rücken, die durch ihre Lederjacke stießen. „Wir leben in Enklaven in großen Nadelwäldern. Nur gelegentlich findet man uns in einzelnen Bäumen in Städten. Aber das wichtigste ist, dass wir keinen Feenstaub herstellen können. Dazu sind nur diesen aufgeblasenen Auenfeen im Stande.“
„Auenfeen?“
„Ja, Auenfeen.“, echote sie genervt seufzend. „Überfreundliches Getue, große bunte Schmetterlingsflügel, lächerliche Kleider aus Blütenblättern, ständig nervend singend und tanzend über Teiche und Seen schwirrend, als würden sie den ganzen Feenstaub, den sie beim Fliegen produzieren, selbst wegsniffen. So, wie man sich eben Auenfeen vorstellt!“
„Wieviel von dem Feenstaub bräuchte man um sagen wir mal, geschätzt 800 bis 1000 Kilo Kamelle herzustellen?“
„Warum sollte jemand so etwas tun?“ stellte sie ungläubig eine Gegenfrage.
„Ich habe da so einen Verdacht, bin mir aber noch nicht sicher. Was weißt du von dem Fieber?“
„Eine schlimme Sache. Als Dornenfee bin ich nicht sonderlich gut auf Menschen zu sprechen, aber wenn eine ganze Generation von Kindern an einem derart aggressiven Virus erkrankt, lässt das selbst uns nicht kalt. Bei den zahllosen Todesanzeigen hat man irgendwie den Überblick verloren. Glaubst du etwa, dass das alles miteinander zu tun hat?“
„Fast ein Jahr lang wurde Köln abgeriegelt und unter Quarantäne gestellt. Ein Informant bei der Stadt hat mir gesagt, dass es kurz nach Ausbruch der Krankheit ein Schreiben gegeben haben soll, in dem sich jemand anbot, ein Gegenmittel herstellen zu können. Er forderte nichts Geringeres als zehn Milliarden Euro oder als Herrscher der Stadt ausgerufen zu werden.“
„Allmählich glaube ich, dass du selbst eine Line mit Feenstaub hattest.“ unterbrach ihn die Fee sarkastisch. „Herrscher? Das ist doch Blödsinn.“
„An dem Punkt war ich auch schon, Lichtbienchen.“ konterte er trocken. „Jetzt kommt aber erst der Punkt der Skepsis. Das ein oder andere Mal hörte man noch einmal was in den Medien über diesen Unbekannten. Diese Quellen wurden aber schnell wieder mundtot gemacht. Als die Todesfälle aber schließlich immer weiter anwuchsen, willigte die Stadt im Geheimen ein und nur einen Monat später gab es wie von Geisterhand keine Neuerkrankungen mehr. Auch die übrigen Betroffenen wurden geheilt. Doch als der Unbekannte seinen Preis einforderte, gab es irgendwelche Schwierigkeiten mit den Banken. Also forderte er seinen Herrschersitz. Du kannst dir sicherlich vorstellen, wie das ausging.“
„Lass mich raten. Als dann die Karnevalsaison losging, feierten alle ausgelassen das Ende der Krankheit. Da ja nur Kinder oder magische Wesen anfällig für Feenstaub sind, waren sie schließlich für die Beeinflussung von magischen Instrumenten offen. Es dauerte nicht lange und nur knapp darauf verschwanden die ersten Kinder. Klingt das alles nicht etwas weit hergeholt?“ schlussfolgerte sie skeptisch.
„Ich unterhalte mich mit einer für Normalsterbliche unsichtbaren Fee, die ich am helllichten Tag mit einem Kescher, der übrigens vor über eintausend Jahren von Hexen verzaubert wurde, im Kölner Stadtgarten eingefangen habe. In wie weit ist das jetzt für dich zu weit hergeholt?“
„Du bist eine furchtbare Nervensäge.“
„Wir verstehen uns, Glitzerdingelchen. Siehst du, ich wusste doch, dass ich mit dir die richtige Wahl getroffen habe.“ grinste er breit und nahm einen weiteren tiefen Zug von seiner Zigarette.
„So, das war ja jetzt alles ganz nett.“ begann die Fee nach einem kurzen Moment der Stille. „Aber wenn du meinen Ausführungen aufmerksam gefolgt bist, wird dir aufgefallen sein, dass ich keine Auenfee bin und dir somit nicht mehr weiter helfen kann. Also wärst du jetzt so freundlich und würdest mich endlich aus diesem Scheißding rauslassen?“ zischte sie den letzten Satz.
„Du sagtest Teiche und Seen?“, griff er grübelnd auf und erntete sogleich ein missmutiges Seufzen der Dornenfee. „Viele davon gibt es hier in Köln nicht gerade. Vor allem habe ich auf der Suche nach dir ohnehin bereits alle abgesucht.“
„Das Auenfeenpack ist sogar noch genervter von euch Menschen als meine Sippe und geht euch aus dem Weg wo sie nur können. Was ist, wenn der Unbekannte den Feenstaub von außerhalb hergeholt hat?“
„Irgendetwas sagt mir, dass der Kerl von hier ist. Die Art, wie er den Karneval mit eingebunden hat passt nicht zu jemanden von außerhalb. Zudem ist die Masse zu groß, um sie in der Gegend herumzufahren. Irgendeine Kleinigkeit muss ich übersehen haben.“ grübelte er vor sich hin und brachte seine Zigarette erneut zum aufglimmen.
„Scheiße ja.“ meldete sich Glimmerchen.
„Was?“
„Außer Zahnbelag hast du auch nichts drauf, oder?“ tadelte sie ihn kopfschüttelnd.
Keuchend ließ sich Hendrik rückwärts auf den Beton fallen und betrachtete sitzend den schweren Abflussdeckel.
„Bist du dir wirklich sicher, dass es keinen anderen Weg gibt?“, fragte er die Fee, die nach wie vor in ihrem Käfig saß.
„Hey, du suchst die letzten Auenfeenkolonien. Also…“, ließ sie das Ende ihres Satzes aus und deutete mit offenen Händen auf den gähnenden Schlund vor ihnen.
„Wenigstens hast du nicht etwas wie die Spitzen des Kölner Doms oder dergleichen erwähnt.“ sprudelte es sarkastisch aus ihm heraus und überprüfte zum wiederholten Mal seine Ausrüstung.
„Wo hast du das denn her?“ fragte sie abfällig und lenkte seine Aufmerksamkeit von der Taschenlampe, die nicht so recht funktionieren wollte.
„Was meinst du?“ antwortete er seufzend und klopfte genervt ein paar Mal auf die Leuchte.
„Na, das da.“ sprach sie erneut, als er endlich aufsah und deutete auf den Dolch in seiner Gürtelscheide.
„Ne Rückversicherung.“ kam es achselzuckend und warf resignierend und mit frustrierten Blick die Taschenlampe achtlos über den Rücken. „Wenn ich eins gelernt habe, dann, dass eine Kanone nur selten bei jemanden wie euch hilft.“ fuhr er fort und kramte eine Zigarette aus der Motorradjacke.
„Mit so einem Messerchen kommst du dann da aber auch kaum weiter.“ spottete sie mit eingebildetem Gesicht und legte ihren Undercut frei.
„Stimmt Funkelninchen.“ gab er zu und steckte sich den Sargnagel an. Nach einem tiefen Zug kniete er sich zu ihr herab und präsentierte ihr die zweischneidige Klinge aus unmittelbarer Nähe. „Aber das ist nun mal eben kein normales Messerchen. Das ist ein Hexendolch aus dem achten Jahrhundert. Das spürt dann sogar eine Fee, ein Gnom, Troll, oder Werwolf. Wobei bei letzterem eine Kanone mit Silberkugeln dann wohl doch eher die bessere Wahl ist. Die Biester schnappen etwas zu sehr.“
„Kannst du uns deshalb sehen?“
„Was meinst du?“, erkundigte er sich gleichgültig und machte sich daran, eine weitere Taschenlampe aus seinem Rucksack zu überprüfen.
„Jetzt komm schon.“ bohrte sie nach. „Du entführst mich und steckst mich wie einen Wellensittich in dieses Ding hier.“ gab sie zornig von sich und trat gegen eines der Gitterstäbe, bevor sie zeternd fortfuhr. „Ohne mich wärst du noch nicht einmal hier. Zudem sieht es nicht gerade danach aus, als würdest du mich allzu bald laufen lassen. Da kannst du mir ausnahmsweise ja auch mal was von dir erzählen.“
„Ach, da gibt es nicht viel.“ gab er achselzuckend zu und warf sich den Rucksack über die rechte Schulter. „Eltern unbekannt, Waisenhaus und ständig wechselnde Pflegefamilien. Zwischendurch gab es mal ein paar Aufenthalte in psychiatrischen Anstalten, weil man mir all die Dinge wie sprechende Bäume, Geister oder Einhörner, die ich gesehen hatte, einfach nicht glauben wollte.“
„Du hast Einhörner gesehen?“
„Während einer Klassenfahrt im Bayerischen Wald.“ winkte er ab. „Aber glaub mir, der Wolpertinger ist die eigentliche Attraktion dieser Gegend und nicht etwa diese gehörnten Ponys. Auf jeden Fall kam ich irgendwann zu einer Wahrsagerin, naja eigentlich war sie eine Hexe, die mithilfe eines gefangenen Geistes ihren Klienten alles vorgaukeln konnte, was sie wollte. Sie erzählte mir, dass ich ebenfalls aus einer Blutlinie von Hexen stamme und hat mir fast alles beigebracht, was ich heute weiß. Sie erzählte mir auch von dem Gleichgewicht und dass sich niemand in die Geschehnisse der Sterblichenwelt einmischen darf. Aber als ich sah, wie sich manche von euch benahmen, weil sie glauben, man könne sie für nichts zur Rechenschaft ziehen…“
„Da hast du was?“ unterbrach ihn Glimmerchen spöttisch loslachend. „Dich selbst zu eine Art Sheriff ernannt und bist seitdem auf Monsterjagd. Oder ist es Rache, weil dich irgendein Kobold um seinen Topf mit Gold gebracht hat?“
„Ich sah vieles Glimmerchen.“ fixierte er sie felsenfest. „Diebe, Betrüger, Händler von magischem Kram und vieles mehr . Aber als ich sah, wie Irrlichter eine Gruppe von Kindern anlockte, um ihnen die Lebenskraft auszusaugen, wusste ich, dass jemand etwas unternehmen musste. Und glaub mir, je mehr ich mich einmischte, desto Schlimmeres habe ich gesehen. Das Gleichgewicht ist ein Witz, das weißt du ebenso wie ich. Deshalb bin ich hier. Weil ich es kann und es sonst einfach niemand macht.“
Er wartete nicht auf etwas wie eine Erlaubnis sondern packte ihren Käfig und setzte unter lautem Protest der Fee den ersten Schritt in Richtung Abstieg. Nur wenige Sprossen später stierte er in die Finsternis des weit aufgerissenen Mauls des Abwassertunnels. Es stank Übelkeit erregend und das, was in dem kleinen Wasserlauf vorbeitrieb, half nicht dabei, etwas an dieser Tatsache zu ändern. Er zog seine Taschenlampe und trieb einen Lichtkegel in die Dunkelheit vor sich.
„Bereit, Leuchtfunkelchen?“ erkundigte er sich hypothetisch. Er atmete tief durch, bevor er in die Schwärze abtauchte. Den ersten Abschnitt waren sie gezwungen, fast ausschließlich gebeugt hinter sich zu bringen. Aber nach einiger Zeit erreichten sie die großen Zuläufe, in denen man aufrecht vorankam. Wenn nicht der dürftige Schein seiner Lampe ein paar der Geheimnisse des Untergrundes enthüllte, waren es die rar gesäten Finger aus Licht, die durch Abflussgitter oder schmale Schächte herabfielen. Die offenbarten Details waren zumeist zusammengespülte Fettberge, verwesende Kadaver und weitere unappetitliche Einzelheiten des schlammigen Bodenbelages. Gelegentlich fing der Schein der Taschenlampe aufblitzende Augen undefinierbarer Kreaturen auf, die so rasch ihr Wohl in der Flucht suchten, dass sie so schnell nicht identifizierbar waren. Nicht selten wurde der Gestank derart beißend, dass Hendrik immer wieder mit dem Würgereflex zu kämpfen hatte. Es gab zwar Markierungen der Stadtwerke, aber für ihn war es nichts anderes als Kyrillisch oder Keilschrift. Jede Abzweigung sah aus wie die vorherige. Sich hier auf Glimmerchens Anweisungen zu verlassen gaben seinem Gefühl der Orientierungs- und Hilflosigkeit nur zusätzliches Futter.
„Wir sind da.“ flüsterte die Fee im Käfig, als sie flackernden Lichtschein in einem der Tunnel sah.
„Haben die irgendwelche Überraschungen für Eindringlinge wie mich parat?“ erkundigte er sich und stellte die Miniaturvoliere ab.
„Es sind Auenfeen, Mann.“ Kam es tadelnd von Glimmerchen. „Was denkst du könnten die schon aufbieten? Eine Feenluftwaffe? Oder geflügelte Ritter in Rüstungen aus Nusschalen, deren Ende bereits eine Fliegenklatsche ist? Nein, halt.“ Beeilte sie sich, zu verbessern. „Sie könnten dich mit ihrem Gesinge um den Verstand bringen.“
„Du bist ganz schön gehässig Glimmdingchen.“ Kommentierte er grinsend und neigte den Kopf. „Bereit für das Finale?“
„Wenn wir schon mal da sind, was Besseres habe ich ja gerade eh nicht vor.“ Erwiderte sie sarkastisch und erntete ein breiteres Grinsen.
Hendrik schlich sich zum Ende des Tunnels, von dem der Lichtschein kam und späte vorsichtig um die Ecke. Der leicht abfallenden Gang führte ihn zu einem Kuppelbau mit einigen Zuläufen. In der Mitte hatte sich eine ausladende Insel aus massenhaft Müll gebildet, zu der es nur einen einzigen Übergang gab. Er folgte den Brücken aus verrostendem Metall über die breiten Kanäle, bis er endlich am Fuße des Eilands ankam. Zahllose Käfige hingen an Ketten von der Decke und stapelten sich neben und übereinander. Ohne jegliche Art von Logik waren sie entweder mit kauernden Kindern oder umherflatternden Feen vollgestopft, deren Flügelschlag ein hallendes Rauschen verursachte. Die Jungen und Mädchen hatte man gefesselt und geknebelt. Dampfende Kessel, Destillatoren und Unmengen an gläsernen Gefäßen unterschiedlichster Art waren allesamt mit Rohrleitung miteinander verbunden und mündeten in einen altertümlichen Topf. Hendrik näherte sich leise einem hüfthohen Kessel und warf einen Blick hinein. Der blubbernde Inhalt war wie vermutet ein zähflüssiger Sirup, der in einem schimmernden Goldton leuchtete.
„Jackpott.“, flüsterte er Glimmerchen zu und hielt den Käfig so hoch, damit sie ebenfalls alles sehen konnte. Sie setzte zu einem Satz an, aber plötzlich fror ihr Gesicht vor Schreck ein. Er wollte herumwirbeln, als sich etwas um seinen Fuß wickelte und ihn brutal zu Boden riss. Der Aufschlag war derartig heftig, dass ihm augenblicklich der Atem aus den Lungen getrieben wurde. Sterne tanzten vor seinen Augen. Aber Zeit, sich zu sammeln blieb ihm keine. Er wurde mit Schwung über den Beton geschliffen und flog durch die Luft, bevor er mit einem klatschenden Geräusch in der undefinierbaren Kanalbrühe landete. Sofort kämpfte er sich wieder an die Oberfläche und versuchte, sich hustend und röchelnd das Ufer der Insel hinauf zu robben. Er griff nach seinem Dolch und er sah sich in Richtung des Angreifers um, um wenigstens zu erahnen, mit wem er es überhaupt zu tun hatte. Kaum hatte er seinen Kopf gehoben, baute sich ein Mischwesen zwischen Mensch und Ratte vor ihm auf. Er fragte sich, was auf den ersten Blick verstörender war. Die Tatsache, einem waschechten Chimärenwesen gegenüberzustehen oder dass es wie ein Skinhead in Kapuzenpullover, Bomberjacke, Cargo Hosen und Springerstiefeln gehüllt war. Eine ihrer klauenbewährten Pratzen packte ihm am Kragen und hievte ihn in die Höhe, während sich der Schwanz der Kreatur um seine Hand schlängelte, dass er mit schmerzverzerrtem Gesicht gezwungen war, den Hexendolch fallen zu lassen. Die Rattenkreatur setzte ein gemeines Grinsen auf und verpasste ihm mit der freien Pranke einen Schlag auf die Nase, der einem Treffer mit einem Vorschlaghammer gleichkam und sofort wieder Hendriks Sichtfeld verschwimmen ließ. Er wurde ein weiteres Mal auf den Boden geschmettert und konnte sich augenblicklich ein wahrlich deutliches Bild davon machen, wie Unfallopfer empfinden mussten, die von einem Bus angefahren wurden. Die Welt drehte sich um ihn und er schmeckte Blut in seinem Mund. Er brachte alles an Kräften auf, die er zu mobilisieren fähig war und stemmte sich hoch, um sich wieder auf die Beine zu richten.
„Man hat mir schon gesagt, dass du ein harter Brocken wärst.“, stellte der Nagermutant fest und packte ihn erneut am Kragen. „Aber dass du wie ein Sandsack einstecken kannst, hätte ich nicht erwartet.“
„Tja, Ratman.“, erwiderte er mit einem blutverschmierten Grinsen. „Ich stecke eben voller Überraschungen.“
„Dann werde ich mir Mühe geben dir….“, riss er plötzlich mitten im Satz ab und ging keuchend in die Knie, da ihm Hendrik die Faust in den Unterleib getrieben hatte. Ein harter Kopfstoß auf die Nagerschnauze ließ das riesige Untier nach hinten umkippen. Der Ermittler nutzte seine Chance und eilte taumelnd zurück an die Stelle, an der er seinen Dolch vermutete. Allerdings kam er nicht weit. Der Schwanz des Monstrums verpasste ihm einen Schlag in den Rücken und katapultierte ihn wieder nach hinten zur Mitte der Insel.
„Hast du Probleme?“, erkundigte sich Glimmerchen mit verschränkten Armen, die nicht einmal eine Lineallänge von ihm entfernt immer noch in ihrem Käfig saß.
„Mal davon abgesehen, dass mich eine zwei Meter Ratte durch den Fleischwolf dreht, geht es mir prächtig, Lichtfienchen.“, stöhnte er und versuchte, sich auf die Seite zu drehen. „Wie wäre es mit etwas Hilfe?“
„Ich sitze hier immer noch fest. Alsooooo.“, breitete sie die Arme aus und zog die Augenbrauen hoch. Hendrik kam sofort der Aufforderung nach und streckte die Hand aus, um den Käfig zu öffnen, als sich in diesem Augenblick erneut der Rattenschwanz um seine Finger legten und ihn langsam in die Höhe hob. Aber anstatt dagegen anzukämpfen, verpasste er der Voliere kurz vor dem Verlieren des Bodenkontaktes einen harten Tritt. Er hoffte, dass seine Mühen Früchte tragen, sah es jedoch nicht, da er in der Luft gedreht wurde, bis er dem Mischwesen ins ramponierte Schnauzengesicht sehen konnte. Zudem fiel sein Blick auf seinen Hexendolch, den die Kreatur seinerseits bereit zum Stoß in der Rechten hielt. Sofort wand er sich, um sich gegen den Griff zu wehren, erreichte aber außer dem immer breiter werdenden Grinsen seines Gegenübers nichts. In diesem Moment erklang ein lautes Rauschen wie das Rascheln tausender Blätter im Wind und nur einen Augenblick später brandete ihnen eine Welle aus glitzernden Feen entgegen. Sofort war sein Sichtfeld von flatternder Flügel verhüllt. Die Chimäre ließ ihn fallen und schlug wild mit den Klauen und dem Dolch um sich. Der Schwarm stob auseinander und enthüllte Glimmerchen, die sich auf der Hand mit der Stichwaffe niederließ und mit grimmiger Miene hunderte Dornen aus ihrem Körper zum Erscheinen brachte. Sofort brüllte der überdimensionale Nager auf und gab daraufhin den Dolch frei. Die Dornenfee bezahlte es mit einem harten Rückhandschlag und wurde aus Hendricks Sichtfeld geschleudert. Er griff auf der Stelle nach dem ihm gebotenen Strohhalm und angelte sogleich die Waffe vom Boden. Er legte all seine Kraft in den Stoß und trieb die Klinge bis zum Heft in die tonnenartige Brust des Rattenmonsters. Nur einen Atemzug später brach die Gestalt zusammen und blieb reglos liegen. Stöhnend ließ sich Hendrick auf die Erde sinken, wo er einen Augenblick lang seine Sinne nur dem Rauschen der Schmetterlingsflügel hingab. Ein Blitz durchfuhr ihn, als ihm die kleine Dornenfee wieder einfiel. Er richtete sich auf und suchte die Gegend nach der Fee ab. Von der Dramatik des Momentes angestiftet stimmten die Auenfeen einen mehrstufigen Kanon an, der die Szenerie wie einen epischen Augenblick aus einem kitschigen Fantasystreifen aus dem Kino wirken ließ. Der Gesang wurde sogar noch bewegter, als er Glimmerchen am Boden liegen sah. Er eilte zu ihr und hob sie so vorsichtig wie möglich auf seine offene Handfläche.
„Oh Gott, sie singen schon wieder.“, stöhnte sie mit schmerzverzerrtem Gesicht und erntete sogleich ein Lachen von Hendrick. „Bitte sag mir, dass ich zu schwer verletzt bin und ich gleich draufgehen werde. Andernfalls werfe ich mich selbst in deinen Hexendolch, um dem Gedudel zu entgehen.“

„Glimmerchen, Du bist echt cool.“

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