Verhandlungssache

„Erbarmt euch ihrer Seelen, ihr Götter.“, sprach Lazarus bedächtig und ließ all seine Zuversicht in seine Worte fließen. „Vergibt ihnen ihre Sünden, denn sie waren nur Menschen. Nehmt sie auf in euer Paradies und gewährt ihnen die Erlösung in der Unendlichkeit. Ihr Götter, stärkt meinen Willen. Mächte der Tugenden, verleiht meiner Stimme die Gnade, eure Anklage zu den Sündern zu tragen, die eure Gesetzte missachten. Herren der Himmel, beschenkt mich noch letztendlich mit eurer Vehemenz und jener göttlichen Stärke, um all die zu zerschmettern, die sich eurem Willen wiedersetzen und glauben, über euch erhaben zu sein.“
Behutsam nahm er den schweren Panzerhandschuh wieder von der Schulter der kauernden Gestalt. Worte und die Hoffnung auf ein Leben in der Unendlichkeit waren alles, was er ihnen noch geben konnte. Dennoch glich es einem Stich ins Herz, mit anzusehen, wie der verkohlte Leichnam allmählich in sich zusammenbrach und außer einer wallenden Staubwolke nichts mehr zurückblieb. Mit mahlenden Kiefern erhob sich der Kleriker und ließ seinen Blick über den Schauplatz eines wahr gewordenen Alptraumes wandern. Die Siedlung stand in Flammen. Gierige Lohen zuckten und loderten auf Dächern oder aus Fenstern. Dort wo sie ihre Arbeit geleistet hatten, züngelten die letzten Feuerzungen über die verkohlten Überreste der Häuser wie hungernde Bettler an abgenagte Knochen. Das Feuer ragte turmhoch in den Nachthimmel und sandte unablässig Funken in die aufgetürmten Wolkenmassen. Das Tosen des Infernos um ihn herum glich dem eines himmelhohen Wasserfalls. Jeder seiner schweren Schritte wurde von Aufwirbelungen von kleinen Wolken aus Asche begleitet, die wie ein dunkler Teppich über allem lag. Überall sah man zusammengesunkene Körper. Ihre schwarzen Gesichter zu Fratzen verzerrt, die aus Schmerz und Qual geboren wurden. Die Münder zu stummen Schreien aufgerissen. Die Arme schützend vor ihr Antlitz haltend oder um die Lieben geschlungen. Es war ein Kabinett des Grauens und des Entsetzens.
Aber er war nicht allein. Seit der Paladin diesen Ort betreten hatte, fühlte er ihre Blicke auf sich ruhen. Gestalten, die sich in den Schatten bewegten. Blitzende Augen, die ihn aus den Feuern heraus beobachteten. Schleichend, zischend und gierig lauernd auf ihr nächstes Mahl. Doch Lazarus war alles andere als leichte Beute. Heilige Worte formten sich in seinem Geist und ließen grelle Blitze über den wuchtigen Kopf des Kriegshammers in seiner Hand zucken. Plötzlich durchbrach eine hüfthohe Gestalt eine Häuserwand und raste wie ein Erdrutsch auf ihn zu. Der Paladin schwang die schwere Waffe mit all seiner Kraft und traf das Ungeheuer in der Flanke. Mit der Gewalt eines donnernden Blitzschlages entlud sich die angestaute Macht und fegte das Untier von den Füßen. Die Kreatur blieb mit zerschmetterter Seite liegen und keuchte das letzte bisschen Leben aus seinem Leib. Von überall um ihn herum vernahm er ihr Zischen und Fauchen und wie auf ein geheimes Zeichen brachen sie aus ihren Verstecken hervor und stürzten sich auf ihn. Scharfe Krallen fuhren schrammend über seinen Harnisch. Zähne schnappten nach seinem kahlen Schädel. Doch immer wieder aufs Neue entging er den Bestien. Mit jedem Hieb des Hammers fiel ein weiteres dieser Monstrositäten seinem Zorn zum Opfer. Dem letzten der Kreaturen rammte Lazarus den breiten Schild gegen den Kopf und brachte es fauchend zum Zurücktaumeln. Mit einem markerschütternden Schrei holte er aus und ließ den Hammerkopf auf das Rückgrat des Ungeheuers herabrauschen. Die Knochen vermochten dem brutalen Schlag nicht standzuhalten und knirschten schaurig, als sie nachgaben und die Waffe den Lebensfaden der Bestie durchtrennte.
Bis auf das Tosen des Feuers kehrte wieder Ruhe ein. Erst jetzt erlaubte sich der Kleriker einen Augenblick der Besinnung und beschloss, sich seinen Feind genauer anzusehen. Angewidert stieß er eine der Kreaturen mit dem Panzerstiefel auf die Seite und wuchtete sie auf den Rücken. Glänzende Schuppen bedeckten ihren Leib. Messerlange Zähne zierten die Kiefern und lange Dornen am Ende des Schwanzes ließen die Extremität zu einem wuchtigen Morgenstern werden. Jedes dieser toten Gestalten trug ein Geweih. Manche von ihnen besaßen die Größe von Hunden, andere waren so hoch wie ein aufgerichteter Bär.
„Drachen“, spuckte er verächtlich aus, als er die gefalteten Schwingen sah.
„Welch ein Wahnsinn hatte die Dorfbewohner dazu getrieben, sich in der Nähe eines Drachenhortes niederzulassen?“, murmelte er und suchte mit zusammengekniffenen Augen in dem Höllenszenario nach weiteren Feinden.
„Wo bist du, du Ausgeburt des Bösen? Kein Hort ist lange Unbewacht. Zeig dich Drache.“, brüllte er so kraftvoll, wie es ihm seine Lungen erlaubten.
Ein langes Knurren hallte von außerhalb seines Sichtfeldes. Schweres Schlagen von gewaltigen Schwingen erklang und brachte den aufsteigenden Rauch in Wallung. Für einen Moment bekam er etwas Riesiges zwischen Häusern zu sehen. Plötzlich explodierten zwei nebeneinanderstehende Gebäude in einem Hagel aus brennenden Trümmern, als ein geschuppter Schwanz wie eine gigantische Sense durch die Bauten fuhr und geradewegs auf ihn zuhielt. Der Paladin ging tief in die Knie und unterlief die Extremität. Als das Glied wieder in den Rauchmassen verschwand, brandete das Brüllen der Bestie über ihn hinweg und brachte seinen Schild und Harnisch zum Vibrieren.
„Drohgebärden!“, eröffnete Lazarus wölfisch grinsend. „Ist das alles, was du zu bieten hast? Zeig dich du Ungeheuer.“
Nach und nach schälte sich das riesige Tier aus der Dunkelheit. Ein Leib von mindestens zehn wenn nicht sogar fünfzehn Manneslängen. Überzogen von schimmernden Schuppen, die das Tänzeln der Feuersbrunst auffingen und der Haut einen unheimlichen Schein verliehen. Gefaltete Schwingen schmiegten sich fast über die gesamte Länge des Körpers. Lazarus wurde von Augen gemustert, die die Größe von Wagenrädern hatten. Der gewaltige Kopf neigte sich ein wenig, als die Nasenlöcher tief seinen Geruch einsogen. Der Drache wandte sich dann den erschlagenen Tieren zu. Ein Grollen entrang sich der Kehle des Reptils, als es wieder zu dem Paladin sah.
„Wie mir scheint verdiene nicht ich den Titel Ungeheuer.“
„Stell deines Gleichen nicht ins Licht der Unschuld. Sieh dir dieses Massaker an. Dies hier waren allesamt Unschuldige Bauern und Siedler.“
„Es waren Jungtiere!“, zischte der Drache, mit aufgestellten Schuppen. „Gerade einmal wenige Tage alt. Eine wahrlich große Heldentat.“
„Wie viele Kinder hat deine Brut verbrannt, Drache? Ich bin lediglich die richtende Hand der Götter und habe Gleiches mit Gleichem vergolten.“
„Selbstgefällig. Gehört das etwa ebenfalls zu den Tugenden deiner Götter, heiliger Krieger? Oder war es Mordlust? Bist du etwa Stolz auf dieses Massaker, Menschlein? Was bist du? Ein Krieger? Wohl eher ein Schlächter.“
„Ich bin der, zu dem mich die Götter auserkoren haben. Ich bin ihre Stimme und wenn es sein muss die richtende Hand.“
„Paladine.“, spie der Drache aus und richtete sich zur vollen Größe auf. „Erhaben über alles, habe ich Recht?“
„Ich bin lediglich den Göttern selbst Rechenschaft schuldig.“
„Wieder einmal beweist ihr, dass man Menschen nicht trauen kann. Dabei waren es genau Euresgleichen und euer damaliger König, die einst zu den obersten unserer Art kamen, um über den Frieden zu verhandeln. Dabei war es in den Verträgen Bedingung, dieses Land von euch unberührt zu lassen. Einen Ort, der uns seit hunderten von Generationen als Brutstätte dient. Heiliges Land!“, brüllte der Drache den letzten Satz wütend schnaubend.
„Ich weiß nichts von irgendwelchen Verträgen. Ich schere mich auch nicht darum. Ich bekam den Auftrag, die Gegebenheiten hier zu untersuchen und ich urteilte wie ich es immer tat. Was nicht mit den Tugenden und Gesetzen der Götter übereinkommt wird gerichtet, bis das Gleichgewicht wieder hergestellt ist. Eure bloße Existenz, jeder eurer Atemzüge ist ein Frevel gegen jede Silbe unserer heiligen Überlieferungen.“, spuckte er dem Drachen angewidert entgegen.
„Was ist jetzt mit eurer ach so hochgeschätzten Diplomatie? Was ist also das Wort oder die Unterschrift eines Menschen noch wert? Was ist mit dem Vertrag unserer Vorfahren?“, spottete der Drache süffisant.
„Es gibt keinen Vertrag zwischen Löwen und Lämmern.“, konterte Lazarus mit wutverzerrtem Gesicht.
„Also beugt man sich entweder eurem Willen oder brennt in den Höllen eurer Götter? Aber lasst euch eines gesagt sein, Menschlein. Ich bin kein Jungtier dass man einfach als Kerbe an eurem Hammerstil hinzufügt.“
„Und ich bin kein Mensch, ich bin ein Paladin. Hiermit erkläre ich die diplomatischen Beziehungen als gescheitert.“, knurrte der Kleriker und hob sowohl Schild als auch Kriegshammer.
Der Drache holte Luft. Die Schuppen am Hals stellten sich bedrohlich auf, bevor der Kopf nach vorn schoss und einen gigantischen Feuersturm aus dem Rachen entließ. Sofort rammte Lazarus die Spitze seines Schildes in den Boden und kauert sich tief dahinter in Deckung. Überall auf seiner Rüstung und der Schildfläche leuchteten die Runen und Siegel für Schutzzauber auf und umhüllten ihn mit einem schützenden Kokon aus hellem Licht. Es war seine Willenskraft, die ihn daran hinderte, wie ein Blatt im Wind davongetragen zu werden. Es war der Glaube an die Macht der Schutzpatronen, die ihn zu einer unüberwindbaren Bastion werden ließ. Als sich der Sturm wieder legte, formte er erneut die Worte seiner Götter und brachte seinen Hammer wie eine zweite Sonne zum Gleißen, bevor er sich aufrichtete und mit einem langen Kampfschrei dem Drachen entgegenlief.

Das Echo von eiligen Schritten kündigte den Besucher schon vor seiner Ankunft an. König Ejendric stellte seinen Kelch auf die Tafel und tupfte sich die Mundwinkel ab. Gemächlich erhob er sich und fixierte die mit Schnitzereien übersäte Tür. Ein Klopfen erklang. Ejendric straffte sich und forderte den Ankömmling auf, einzutreten. Die eintretende Gestalt war niemand Geringeres als Andarius, der geistige Führer des religiösen Ordens der Kirche der Paladine. Mit einem Kopfnicken signalisierte Ejendric den Wachen, sie allein zu lassen. Als der letzte der Leibgarde den Saal verließ, verbeugte sich Andarius tief.
„Lass dass, Andarius.“, fuhr er den Mann schroffer an als beabsichtigt. „Wir haben keine Zeit für das Zeremoniell.“
„Wie ihr wünscht, Herr.“, antwortete Andarius und richtete wieder sein besticktes Gewand.
„Wie lief es? Habt ihr alles in die Wege geleitet?“
„Selbstverständlich, mein König. Ich habe meinen besten Mann damit beauftragt. Er wird die Sache regeln und alles in seiner Macht stehende tun, um den Frieden zu wahren.“
Nervös fuhr sich der König durch seinen goldenen Bart, bevor er sich wieder in seinen Stuhl setzte. Nach einem tiefen Zug aus seinem Kelch sah er Andarius erneut an.
„Ich hoffe, dass es noch nicht zu spät ist. Die alten Verträge mit den Drachen müssen um jeden Preis eingehalten werden. Der Frieden muss um jeden Preis eingehalten werden.“
„Macht euch keine Sorgen darum, Herr. Alles geschieht stets so, wie es die Götter lenken.“
„Ich frage mich immer noch, welcher Heißsporn und unbedachte Narr ausgerechnet dort die Siedler dazu veranlasste, sich niederzulassen. Der Wahnsinn muss denjenigen angetrieben haben. Es darf keinen Krieg geben. Ich fürchte um unser Reich, wenn der Frieden bricht.“
„Die Geschichtsbücher sind voll von den Heldentaten der Paladine gegen die Drachen. Solange wir die Götter huldigen, werden wir sicher sein. Ein Volk, das unter dem Schutz der Götter steht, kann nicht bezwungen werden.“
„Die Götter?“, prustete der König los. „Wo waren sie denn, als die Siedler das Land der Drachen betraten? Ich sage euch, wir sollten uns nicht zu sehr auf das verlassen, was in schwülstigen Broschüren steht und einst von alten und verblendeten Männern niedergekritzelt wurde. Nein, der gesunde Menschenverstand wird uns helfen, diese Krise zu überstehen. Es darf unter keinen Umständen einen neuen Krieg geben. Dieses Mal könnten wir ihn verlieren.“
„Herr, ihr dürft so etwas noch nicht einmal denken. Dass ist Blasphemie.“, versuchte ihn Andarius zu belehren.
„Wie dem auch sei. Unterrichtet mich, sobald ihr Kunde von eurem Unterhändler habt. Egal unter welchen Umständen, wir müssen auf die Diplomatie setzen. Und nun geht.“

Als die Tür hinter Andarius ins Schloss fiel, konnte er endlich aufatmen. Er schritt über den üppigen Flur, bis er zu einer mit Rosen bewachsenen Veranda kam. Der Balkon ermöglichte es ihm, weite Teile des Landes zu überblicken. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen. Wahrlich, alles lief nach Plan. Lazarus würde schon dafür sorgen, dass die Diplomatie zum Erliegen kam. Der Kleriker war ein gefürchteter Krieger, dessen Stärke in der Schlacht nur von seinem Fanatismus übertroffen wurde. Dass er weiterhin vom König miteinbezogen wurde zeigte ihm, dass dieser nichts davon ahnte, dass es Andarius selbst war, der die Siedler ins Gebiet der Drachen entsandt hatte. Ein Krieg war unumgänglich. Es war an der Zeit, sich dem Schrecken dieser Bestien zu entledigen und als neues und gestähltes Volk wieder hervorzutreten. Besser gestern als heute. Hektisches Läuten der großen Glocken ließ ihn mit zusammengekniffenen Augen über das Panorama schweifen. Schließlich blieb er an den flügelbesetzten Umrissen hängen, die am Horizont allmählich näherten. Die Drachen kamen und mit ihnen der Krieg.